Vorhersage mit Hilfe eines neuen Algorithmus
Dieser Durchbruch in der Vorhersage des wichtigsten natürlichen Klimaphänomens gelang mit Hilfe eines neuen Algorithmus, der auf einer Netzwerk-Analyse der Lufttemperaturen im Pazifikraum beruht. Solche langfristigen Vorhersagen können Bauern in Brasilien, Australien oder Indien helfen, sich vorzubereiten und die Aussaat entsprechend anzupassen. Die Wissenschaftler vom Institut für Theoretische Physik der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und der Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv hatten sich dazu entschieden, die Frühwarnung vor über einem Jahr in dem renommierten Wissenschaftsmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) zu publizieren – dabei waren sie sich des Risikos eines Fehlalarms und des damit verknüpften Reputationsrisikos bewusst.
„Während konventionelle Methoden offenbar nicht zu einer verlässlichen ‚El Niño‘-Prognose mehr als sechs Monate im Voraus in der Lage sind, können wir mit unserer Methode die Vorwarnzeit mindestens verdoppeln“, betonte JLU-Physiker Prof. Dr. Armin Bunde, der mit seinem Kollegen Dr. Josef Ludescher die Studie leitete. „Auch bei einem Prognosezeitraum von sechs Monaten schneidet sie deutlich besser ab.“Neue Methode zeigt deutllich genauere Werte
Während die anderen Vorhersagen immer wieder um Wahrscheinlichkeiten von rund 60 Prozent schwankten – noch im November lagen sie bei nur 58 Prozent – , blieb die neue Methode über den gesamten Prognosezeitraum stabil bei rund 75 Prozent. Der US-amerikanische Wetterdienst NOAA hat erst vor wenigen Tagen die Ankunft von „El Niño“ bestätigt. Japanische Vorhersagen sahen die Bedingungen im letzten Dezember erfüllt. Die korrekte Vorhersage war dieses Mal offenbar noch schwieriger, da die Auswirkungen des Wetterphänomens in diesem Winter ungewöhnlich schwach ausgeprägt sind. Umso bemerkenswerter ist es, dass die Prognose der Physiker trotzdem korrekt war. Eine Aussage über die Stärke von „El Niño“ ist mit dem Algorithmus derzeit noch nicht möglich. Mit einer Vorwarnzeit von bislang höchstens einem halben Jahr haben die Menschen vor allem in den Tropen und Subtropen in unregelmäßigen Abständen um die Weihnachtszeit herum mit den oft katastrophalen Folgen von „El Niño“ (spanisch für das „Christkind“) zu kämpfen – leere Fischernetze und sturzbachartige Regenfälle in Peru sowie ausgedehnte Dürreperioden in Teilen Südamerikas, Indonesiens, Australiens und Afrikas. Darüber hinaus kann es über dem indischen Subkontinent zu einer Änderung des Monsuns und in Kalifornien zu mehr Niederschlag kommen. Diese Auswirkungen sind wegen der Schwäche des Phänomens in diesem Jahr weitgehend ausgeblieben. Allerdings ist es möglich, dass der Zyklon, der in den vergangenen Tagen Vanuatu verwüstete, die westlichen Winde in der Pazifikregion verstärken wird. So könnten auch die „El Niño“-Folgen in den kommenden Woche noch deutlicher zu spüren sein. Die Forscher nutzten für ihre Untersuchungen ein Netzwerk aus atmosphärischen Temperaturdaten im tropischen Pazifik, das aus 14 Gitterpunkten im „El Niño“-Kerngebiet am Äquator und 193 Punkten außerhalb dieses Kerngebietes im Pazifikraum besteht. Die Physiker hatten herausgefunden, dass schon im Jahr vor dem Ausbruch eines „El Niño“ die Fernwirkung zwischen den Lufttemperaturen inner- und außerhalb des Kerngebiets deutlich stärker wird. Diesen Effekt nutzten sie für die Festlegung ihres Prognose-Algorithmus.Einblick in die Mechanismen des Klimaphänomens
„Die Ursachen für die Entstehung von ‚El Niño‘ waren bislang weitgehend unklar – unsere Methode könnte jetzt die Tür öffnen für einen Einblick in die Mechanismen dieses so wichtigen Klimaphänomens“, betonte Prof. Dr. Hans Joachim Schellnhuber (PIK). „In den Daten von mehr als 200 Stellen im Pazifik baut sich vor einem kommenden ‚El Niño‘ ein Zusammenspiel auf, ähnlich wie in einem Orchester, und das benutzen wir zur Vorwarnung. Spielen verschiedene Regionen im Pazifik dagegen eher wie einzelne Solisten unabhängig vor sich hin, entwickelt sich kein ‚El Niño‘. Physikalisch gesehen könnte es sich also um ein Resonanzphänomen handeln.“ Die Entdeckung der neuen Methode wurde erstmals im Sommer 2013 in einem Artikel der renommierten Proceedings of the National Academy of Sciences publiziert. Für die Untersuchungen standen den Forschern zuverlässige Daten aus dem Zeitraum zwischen Anfang 1950 und Ende 2011 zur Verfügung. Der Zeitabschnitt zwischen 1950 und 1980 diente ihnen als Lernphase für die Festlegung eines Algorithmus für die Bestimmung der Alarmschwellen. Mithilfe dieses Algorithmus konnten dann die „El Niño“-Ereignisse in der zweiten Periode prognostiziert und mit den tatsächlichen Ereignissen verglichen werden. So war es möglich, die Quote falscher Alarme auf unter zehn Prozent zu senken und 70 Prozent der „El Niño“-Ereignisse zutreffend zwölf bis 18 Monate vor ihrem Eintritt anzukündigen. Prof. Dr. Shlomo Havlin (Bar-Ilan-Universität), ebenfalls Ko-Autor dieser Studie, ergänzte: „Der von uns entwickelte Algorithmus hat bereits im Jahr 2011 korrekt das Ausbleiben von ‚El Niño‘ im Folgejahr 2012 prognostiziert – obwohl offizielle Stellen noch im September 2012 mit dem erneuten Auftreten des Phänomens rechneten.“ Das Forscherteam möchte jetzt die Methode verfeinern. Ziel soll sein, künftig auch die Dauer und die Stärke eine „El Niño“-Ereignisses korrekt vorherzusagen. Artikel zur frühen Prognose: Ludescher, J., Gozolchiani, A., Bogachev, M.I., Bunde, A., Havlin, S., Schellnhuber, H.J. (2014): Very early warning of next El Niño. Proceedings of the National Academy of Sciences [DOI: 0.1073/pnas.1323058111]Weblink zum Artikel: www.pnas.org/content/early/2014/02/07/1323058111 Artikel zur neuen Methode: Ludescher, J., Gozolchiani, A., Bogachev, M.I., Bunde, A., Havlin, S., Schellnhuber, H.J. (2013): Improved El Niño forecasting by cooperativity detection. Proceedings of the National Academy of Sciences [DOI:10.1073/pnas.1309353110]
Weblink zum Artikel: www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1309353110Weiter zum Potsdam Institut für Klimafolgenforschung