Feuchtgebiete verschwinden
Von diesen Sümpfen, über die Tacitus sprach, zehren wir noch heute, denn immer noch wird hierzulande in großem Stil Torf abgebaut. Die endlosen Sümpfe und Feuchtgebiete sind jedoch längst verschwunden. Nur letzte, winzig kleine Reste blieben übrig.
Wer von uns kennt heute noch eine „richtige“ Aue, weit verzweigte, mäandernde Wasserläufe oder ein Moor, das mit seinem dunklen Wasser die Erinnerung an alte Märchen wachruft? Wem sind Arten wie Bekassine, Flussuferläufer oder Kiebitz noch ein Begriff? Wann hörten wir zum letzten Mal ein Froschkonzert oder das leise Summen der Libellen?
Bereits vor Jahrhunderten begann der Mensch Auenwälder abzuholzen, Flüsse zu begradigen und Feuchtgebiete trocken zu legen. An Orten, die früher regelmäßig überflutet wurden, stehen heute Industrieanlagen und Siedlungen, kreuzen sich viel befahrene Hauptverkehrsstraßen. Mit viel Aufwand wird versucht, die Wassermassen zu bändigen, die immer noch wie zu Zeiten Tacitus vorhanden sind. Das gelingt oft, aber nicht immer, und führt im Frühjahr oder Herbst regelmäßig zu Schlagzeilen über gerissene Dämme oder überflutete Keller.
Letzte Reste ehemaliger Sümpfe
Einer der letzten Reste ehemaliger Sümpfe liegt im südlichen Hessen in der Langenselbolder Aue (Main-Kinzig-Kreis). Zahlreiche Arten fanden hier einen Rückzugsort, der mittlerweile zu einem wichtigen Rast- und Brutgebiet für viele Vögel, allen voran für Wiesenvögel wurde. Anfang März 2010 starteten die Wiesbadener Naturschutzorganisation Naturefund und der Arbeitskreis Main-Kinzig der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) eine breit angelegte Spendenaktion.
Gemeinsam wollen sie eine 10.000 m² große Wiesenfläche in den Grünlandauen an der Kinzig kaufen und renaturieren. Insbesondere der stark gefährdete Kiebitz soll dadurch einen sichereren Brutplatz erhalten.
Interessante und produktive Lebensräume
„Um eine Aue richtig zu verstehen, muss man wissen, dass zwischen einem Fließgewässer und dem Land, das es durchfließt, ganz enge Zusammenhänge bestehen.“, erklärt Geschäftsführerin Katja Wiese von Naturefund. „Nicht nur, dass sich Wasser und Land immer wieder miteinander verzahnen. Paradoxerweise wechseln sich in der hochwassergeprägten Aue nass-feuchte Standorte mit extrem trockenen Standorten ständig ab. Sie bilden gemeinsam einen der interessantesten und produktivsten Lebensräume Mitteleuropas. Es versteht sich fast von selbst, dass bei soviel Abwechslung der Artenreichtum enorm ist.“
Zudem sorgen die regelmäßig in der Aue stattfindenden Überschwemmungen für ständige Veränderung. Das Fließgewässer fungiert dabei als treibende Kraft. Während es an der einen Stelle Boden abträgt, im Gewässer Vertiefungen und an Land wassergefüllte Senken entstehen lässt, spült es den Boden an anderer Stelle wieder an und schafft Lebensräume wie Sand- und Kiesbänke. Je weiter man sich vom Bach- oder Flusslauf entfernt, desto mehr schwächt sich diese Dynamik ab, die Aue wird seltener überspült und das Land weniger den Kräften des Wassers ausgesetzt. Hier entstehen auf nährstoffreichen Flusssedimenten Auenwälder.
Bewusstsein für die Schutzwürdigkeit von Auen
Kaum jemand hat noch eine Vorstellung von der beispiellosen Artenvielfalt und der atemberaubenden Schönheit ursprünglicher Gewässerlandschaften. Im Zuge des Klimawandels, der Bedeutung von Wäldern als CO2-Speicher wie auch der Notwendigkeit, Lebensräumen für den Erhalt der Biodiversität zu schützen, wächst allerdings das Bewusstsein für die Schutzwürdigkeit von Auen und ihrem Artenreichtum.
„Zum Glück!“, meint die HGON-Biologin Susanne Hufmann vom Arbeitskreis Main-Kinzig der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz. „Seit geraumer Zeit bemerken wir wieder ein gesteigertes Interesse an einer intakten Umwelt. Während wir bis vor einigen Jahren mit unseren Anliegen oft auf Unverständnis stießen, ist die Akzeptanz heute eine ganz andere. Die Menschen empfinden das Verschwinden einzelner Arten, die sie zum Teil noch aus ihrer Kindheit kennen, als Verlust und als ein Zeichen, dass mit ihrer Umwelt etwas nicht stimmt. Insbesondere das Schicksal der Wiesenvögel wie Kiebitz und Bekassine wird inzwischen wahrgenommen und offen diskutiert. Dass dies in erster Linie mit einem Verlust von Feuchtgebieten in unseren Auen zu tun hat, wird vielen bewusst.“
Mehr Informationen über das mittlerweile bereits abgeschlossene Projekt finden Sie hier.