Unter dem Birnbaum gedeihen Rosmarin, Salat, Tomaten und Zucchini. Ein Stachelbeerstrauch wächst empor, daneben Salbei, Mangold, Aubergine, Erdbeeren und Mais, hie und da blühen Blümchen zwischen dem Gemüse. Wer die strenge Ordnung der konventionellen Landwirtschaft gewohnt ist, für den muss das bunte Durcheinander des Versuchsfeldes auf dem Hof Erbenheim ein Graus sein.
Das Durcheinander ist gewollt und Teil des Konzepts. Der Wiesbadener Verein Naturefund probiert seit dem Frühjahr 2018 auf dem einen Hektar großen Acker die Anbaumethode „Dynamischer Agroforst“ aus. „Wir kombinieren verschiedene Pflanzen auf engem Raum“, erklärt Vereinsvorsitzende Katja Wiese. Der Wald dient als Vorbild. In einem gesunden Wald wachsen die unterschiedlichste hohe und niedrige Pflanzen.
Im dynamischen Agroforst werden langlebige Obstbäume mit zwei- und einjährigen Pflanzen eng auf dasselbe Stück gesetzt, darunter etwa zur Hälfte Nutzpflanzen und je zu einem Viertel Bodenverbesserer wie Erbsen oder Senf und lokal vorkommende Pflanzen. Die Grundlagen dafür sind uraltes Indianerwissen, das nun neu entdeckt wird. „Je dichter, desto besser“, sagt Wiese, deren Begeisterung für die Anbaumethode ansteckend ist. Über den Sommer rückte die gesamte Bürobelegschaft des Vereins an, um zu harken, zu jäten und zu pflanzen. Wichtigstes Werkzeug: die Schere. „Das ist der Zauberstab“, sagt Wiese. Damit genug Licht an die alle Pflanzen komme, müssten größere zurechtgestutzt werden.
In Honduras, Bolivien und Madagaskar, wo der international tätige Naturschutzverein mit lokalen Partnern den „Dynamischen Agroforst“ testet, hat die Methode bereits Erfolge erbracht. „Der Ertrag ist irre“, sagt Wiese, die überzeugt davon ist, dass sich so die Erntemengen vervielfachen lassen. Um Lebensmittelsicherheit in Zeiten des Klimawandels zu gewährleisten, sei der dynamische Agroforst eine der Lösungen. In Bolivien habe die Ernte im ersten Jahr bereits 143 Prozent und im zweiten Jahr 210 Prozent des Vergleichswerts betragen. Die Bauern brauchen zudem keinen Dünger und keine Insektizide mehr zu kaufen; sie haben also geringere Ausgaben und höhere Einnahmen.
Aber lässt sich das Konzept auch auf Deutschland übertragen? Können hiesige Landwirte mit der Methode große Mengen ernten, auch wenn sie Maschinen einsetzen und nicht wie dort nur einfache Werkzeuge? Klappt die Methode auch ohne viel Handarbeit auf dem Feld?
„Für mich ist das ein Versuch, ökologische Aspekte in die normale Landwirtschaft zu bringen“, sagt Landwirt Ralf Schaab, auf dessen Gelände das Versuchsfeld liegt und der mit Naturefund kooperiert. Die Abstände zwischen den jungen Obstbaumreihen, unter denen Gemüse, Blumen und Kräuter wachsen, wurden so groß gewählt, damit Schaab auch mit Mähdrescher und Traktor durchfahren kann. In diesem Jahr baut er Kürbisse zwischen den Reihen an. Blühstreifen und Luzerne wachsen daneben. Eins zu eins lasse sich der dynamische Agroforst sicher nicht auf seine naturnahe Anbauweise auf dem Obsthof anwenden, meint er. Aber Schaabs Ziel ist es, seine Art der Landwirtschaft zu verbessern.
„Wir haben jetzt mehr Vielfalt auf dem Acker und produzieren mehr organische Masse“, sagt er, „und die Bienen finden länger Nahrung, weil immer etwas blüht.“ Im Hitzesommer 2018 habe er zudem die Erfahrung gemacht, dass ein gemulchter Acker besser die Trockenheit überstehe.
Überschüsse aus dem Versuchsfeld vermarktet Schaab in seinem Hofladen, bislang vor allem Zucchini und Kräuter, wie Anja Krzepek von Naturefund berichtet. 2019 sollen auch Brokkoli und Kohlrabi besser gedeihen, die 2018 noch mickrig ausfielen.
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