Ob als Anlass für einen Kuss unter ihrem Zweig, als stärkender Zaubertrank bei Asterix und Obelix oder einfach nur als Deko: Bei vielen Menschen sind Mistelzweige sehr beliebt. Dass das weißbeerige Gewächs aber auch Feinde hat, zeigt sich aktuell an vielen Bäumen in der Stadt. Auf an ihnen angebrachten Schildern stehen Worte wie: „Ich bin ein junger Baum und muss sterben, weil die Stadt Wiesbaden meine Misteln nicht entfernt“ oder „Eine Mistel schwächt den Baum, viele Misteln töten ihn“. Was steckt hinter der Aktion?
Organisation setzt sich gegen Misteln ein
Aufgehängt hat die Plakate die Wiesbadener Naturschutzorganisation „Naturefund“ am Donnerstag im Kurpark, am RMCC und in der Richard-Wagner-Straße. Der gemeinnützige Verein kauft weltweit Land, um aufzuforsten und Lebensräume für Tiere und Pflanzen zu erhalten. In Wiesbaden kümmert sich die Organisation vor allem darum, Streuobstwiesen zu erhalten — und dabei setzt sie sich auch gegen die Ausbreitung von Misteln ein.
Denn Misteln würden sich im Holz vor allem geschwächter Bäume niederlassen, von denen es durch den Klimawandel und die zunehmenden Trockenphasen immer mehr gebe. Dort würden sie die Wasserversorgung anzapfen und dem Baum dadurch Wasser und wichtige Nährsalze entziehen. Ein hoher Mistelbefall führe dann zunächst dazu, dass der Baum keine Früchte mehr trage, später sterbe er sogar. Außerdem könne sich die Mistel über ihre Beeren auf andere Bäume übertragen. Um dem entgegenzuwirken und das Ausbreiten zu verhindern, schneidet „Naturefund“ befallene Äste auf vielen Streuobstwiesen auf 20 bis 40 Zentimeter unterhalb der Mistel ab. Das empfiehlt auch der Naturschutzbund.
Plakate sollen Druck ausüben
Mit der Plakataktion richtet sich „Naturefund“ direkt an die Stadt und die Wiesbadener. „Wir wollen, dass die Stadt mehr Misteln entfernt und die Leute darüber aufgeklärt werden, dass sie auf ihren Grundstücken unbedingt Misteln schneiden sollten“, erklärt Martin Unfricht von „Naturefund“ den Hintergrund der Aktion. Noch immer würden viele Menschen denken, Misteln stünden unter Naturschutz. Dem ist allerdings nicht so, sie dürfen nur nicht gewerbsmäßig in großen Mengen geschnitten werden. Zwar habe die Mistel auch ihren Platz und ihre Berechtigung in der Natur, wenn sie sich aber zu sehr ausbreite, gefährde sie den Baumbestand, was nicht im Sinne des Klimaschutzes sei.
Viele Gespräche, keine Lösung
Das Grünflächenamt schneide trotz vieler Gespräche mit der Organisation zu wenige der Misteln an städtischen Bäumen, so Unfricht. Zwar war der Mistelbefall bereits Anfang 2019 im Umweltausschuss Thema, seitdem habe sich aber nicht viel geändert. Die Rathausfraktionen von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen hatten damals einen Antrag gestellt, um sich über den Umgang der Stadt mit Misteln zu informieren.
Im Ausschuss selbst wurde dann diskutiert. Das Grunflächenamt beteuerte damals, dass ein Rückschnitt alter Bäume zu einem Pilzbefall führen könnte. Dem entgegnet die Organisation, das man in solchen Fällen im Einzelfall entscheiden müsse. Würde man nur die Mistel selbst entfernen, bliebe die Wurzel laut Grünflächenamt zurück, die Mistel käme wieder und man müsse sie immer wieder entfernen, was hohe Kosten verursachen würde. Eine Lösung, die auch „Naturefund“ überzeugen konnte, fand man am Ende nicht.
Organisation hofft, dass Stadt etwas ändert
„Naturefund“ erhofft sich durch die Plakataktion, dass die Wiesbadener die Stadt auf das Problem aufmerksam machen. Im besten Fall sollte die Stadt langfristig Geld in die Hand nehmen, um gefährdete Bäume regelmäßig von Misteln zu befreien. „Gerade im Hinblick auf den Klimawandel müssen wir den Baumbestand schützen, wir können nicht neue Bäume pflanzen und alte sterben lassen“, sagt Sebastian Schön von „Naturefund“.
Wiesbadenern, die selbst nicht wissen, wie sie mit Misteln an Bäumen in ihren Gärten umgehen sollen, lädt die Organisation regelmäßig zu kostenlosen Schneideaktionen auf Streuobstwiesen ein. Dort können sie lernen, wie sie die Misteln am besten entfernen. Die nächste Aktion findet am 25. Januar in Sonnenberg statt.
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