Für die Risikobewertung von Pestiziden für den Menschen werden in Tierversuchen gesunde Labortiere mit einem einzelnen Pestizidwirkstoff gefüttert oder besprüht und die Konsequenz dessen betrachtet. Aus den Beobachtungen werden dann toxikologische Grenzwerte berechnet.
Weil sich die Übertragung der Messwerte vom Labortier auf den Menschen als problematisch herausgestellt hat, wurde der sogenannte Sicherheitsfaktor eingeführt. Dieser trägt die Funktion, die Unterschiede zwischen Menschen und Tieren zu berücksichtigen. 125
Da man nicht exakt bestimmen kann, wie empfindlich der Mensch im Vergleich zum Versuchstier ist, wird pauschal ein Sicherheitsfaktor von 10 angenommen. In der Bevölkerung tauchen aber zudem Unterschiede in den Empfindlichkeiten (z. B. reagieren Gesunde anders als Kranke) auf, deshalb gibt es einen weiteren Faktor von 10. Ein dritter Faktor in beliebiger Höhe kann außerdem Anwendung finden, wenn die Behörden nicht ausreichend Daten zur sicheren Einschätzung des Risikos zur Verfügung haben. Dieser pauschale Sicherheitsfaktor wurde in den 1950ern eingeführt und seither nicht mehr verändert. 125 Da der Faktor auf 60 Jahre alten Annahmen basiert, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass Rückstände unterhalb der errechneten Grenzwerte unbedenklich sind.
Auch die Versuchstiere reagieren nicht alle gleich und in der Regel werden keine Langzeitstudien durchgeführt. So werden zum Beispiel Laborratten höchstens über 2 Jahre hinweg untersucht, während der Mensch den Pestiziden oftmals noch Jahre danach ausgesetzt ist.127 Das Problem daran ist, dass es sich bei den meisten Pestiziden um Speichergifte handelt, die sich in bestimmten Körperdepots anreichern. Es kann somit Jahrzehnte dauern, bis es erstmals zu einer Wirkung durch die eingelagerten Gifte kommt und diese entdeckt wird. Für Pestizide gibt es daher keine sicher ungefährliche Dosis. 128
Zudem werden die gegenseitigen Beeinflussungen der Pestizide bei gleichzeitigem Einsatz bei der Festlegung der Grenzwerte nicht untersucht, obwohl es zahlreiche Studien gibt, die beweisen, dass Pestizide in Verbindung mit anderen Pestiziden deutlich giftiger sind, als wenn sie einzeln verwendet werden. 127
Der Beurteilung der Pestizidwirkung dient auch häufig die Extrapolation: Von den Ergebnissen eines Experiments wird auf andere Arten und andere Umweltsituationen geschlossen. Häufig sind diese Extrapolationen jedoch wissenschaftlich nur schwierig nachzuvollziehen. 131 Beispielsweise werden Ergebnisse, die bei dem Test mit ausgewachsenen Honigbienen ermittelt wurden, für alle anderen Lebensstadien und alle Bienenarten, gelegentlich sogar für alle Insektenbestäuber, verwendet.
Bei der Testung der Auswirkungen von Pestiziden werden des Weiteren aus praktischen und monetären Gründen nur bestimmte Endpunkte untersucht. Diese kann der Untersucher frei wählen. Typische Endpunkte wären der Tod des Versuchstiers, Krebsgeschwüre oder das Gewicht konkreter Organe. Endpunkt kann aber auch die Neurotoxizität sein: Diese sind zum Beispiel Lerndefekte, Fehlfunktionen des Immunsystems, der Reproduktionsorgane oder Multigenerationeneffekte. Eine Vielzahl dieser Aspekte werden aufgrund der oben genannten praktischen und monetären Gründe bei der Untersuchung möglicher Auswirkungen der Pestizide nicht beachtet.
Die aufgeführten Daten und Fakten stützen sich auf das Buch "Unser täglich Gift" von Johann G. Zaller, Ökologe an der Wiener Universität für Bodenkultur sowie Experte der Österreichischen Biodiversitätskommission.