Ende September letzten Jahres wurde der 2013 von NRW-Umweltminister Johannes Remmel, Projekt-Ideengeber Richard Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg und Landrat Paul Breuer unterzeichnete Vertrag für die Freisetzung der Wisente im Rothaargebirge von der Wisent-Welt-Wittgenstein gekündigt. Neben der Kündigung des Vertrags hat der Trägerverein zudem sein Eigentum an den frei lebenden Wisenten aufgegeben. Die Tiere sind somit herrenlos und unterliegen dem Artenschutzrecht. Das Land Nordrhein-Westfalen ist jetzt zuständig für die Herde.
Wie konnte es dazu kommen?
Andauernde Konflikte mit Waldbauern aus dem Sauerland führten zur Kündigung des Vertrags sowie zur Abgabe des Eigentums an den Wisenten. Für die Wisent-Welt-Wittgenstein war dies die letzte Möglichkeit, um das in Europa einzigartige Artenschutzprojekt zu erhalten und die Auswilderung der Wisente weiterhin zu ermöglichen. Seit Jahren haben sich der Wisent-Verein und die Waldbauern bis vor den Bundesgerichtshof gerichtlich auseinandergesetzt.
Geklagt hatten im Jahr 2017 zwei Waldbauern, welche die frei lebenden Wisente aufgrund von Schälschäden an Bäumen in Gewahrsam sehen wollten. Ebenso fochten die beiden Waldbauern den öffentlich-rechtlichen Vertrag vom 08. April 2013 zwischen dem Kreis Siegen-Wittgenstein und dem Land Nordrhein-Westfalen an, der die rechtliche Grundlage zum Auswilderungsprojekt im Rothaargebirge schuf.
November 2018:
Der Bundesgerichtshof befasste sich mit der Situation der frei lebenden Wisente. Das Gericht fällte die Entscheidung, die Freisetzungsphase der Wisente als Naturschutzmaßnahme anzusehen, die auch auf den Gebieten der Waldbauern stattfindet. Da die Wahrscheinlichkeit, dass die Tiere gelegentlich das Projektgebiet verließen, nicht gering sei, ergäbe sich eine Duldungspflicht der Waldbauern, solange diese nicht unzumutbar beeinträchtigt werden. Da die Bauern Entschädigungszahlungen für die beschädigten Bäume erhielten, tendierte der BGH dazu, die Zumutbarkeit zu bejahen.
Februar 2019:
Das Arnsberger Verwaltungsgericht traf nach vier Stunden Verhandlung eine vorläufige Entscheidung zu der im April 2017 eingereichten Klage: Das Urteil von Richter Schulte-Steinberg entsprach der Empfehlung des BGH.
Juli 2019:
Wieder entschied der BGH über den Verbleib der Wisente. Auch jetzt war dieser der Auffassung, dass die Waldbauern während der Phase der Auswilderung den Verbleib der Tiere auf ihrem Grundstück hinnehmen müssten, sollte die Nutzung der Grundstücke durch die Wisente nicht unzumutbar beeinträchtigt werden. Das Oberlandesgericht Hamm war nachfolgend in der Pflicht zu klären, inwieweit die Nutzung der Grundstücke durch die Wisente unzumutbar beeinträchtigt werden. Unabhängig davon wurde beschlossen, dass der Trägerverein Wisent-Welt-Wittgenstein den Waldbesitzern die Schäden auch weiterhin ersetzen muss, die diesen durch die Wisente entstehen.
Juli 2021:
Das Oberlandesgericht Hamm entschied in einem Berufungsverfahren, dass die Waldbauern im Sauerland es nicht länger hinnehmen müssten, dass Wisente ihre Grundstücke betreten und Schäden an ihren Bäumen verursachen. Die Waldbauern konnten demnach fortan vom Trägerverein verlangen, dass dieser Maßnahmen ergreift, um den Tieren den Zutritt zu den Grundstücken zu verwehren.
Zur Begründung sagte das Oberlandesgericht, dass die Waldbauern bei der Nutzung ihrer Wälder durch die Wisente unzumutbar beeinträchtigt würden. Die zur Erforschung des Projektes angesetzte Freisetzungsphase der Tiere sei längst abgeschlossen. Das Oberlandesgericht äußerte zudem Kritik daran, dass nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes im Jahr 2019 die Beratungen über die weitere Vorgehensweise zur Auswilderung der Wisente nicht beschleunigt worden seien und es weiterhin unterschiedliche politische Vorstellungen gäbe. Vielmehr hätte das Gericht sich gewünscht, dass die dauerhafte Ansiedlung und Freiheit der Tiere in einem neuen öffentlich-rechtlichen Vertrag geregelt sei. Der Trägerverein kündigte an, gegen dieses Urteil am BGH in Revision zu gehen.
Juli 2022:
Die Wisent-Welt-Wittgenstein zog die Revision vor dem Bundesgerichtshof nach einem entsprechenden Hinweis dieses auf Erfolgslosigkeit zurück. Der Trägerverein war damit in der Pflicht, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, sodass die Wisente die Grundstücke der Waldbauern nicht mehr betreten können.
Kündigung des Vertrags
Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm ließ dem Verein nunmehr nur noch die Möglichkeit, den öffentlich-rechtlichen Vertrag zu kündigen und damit einer Zwangsvollstreckung in Höhe von bis zu 250.000 € je Kläger zu entgehen. Denn sollten die Wisente weiterhin Schäden an Bäumen verursachen, drohten sechs-stellige Forderungen an den Wisent-Verein als offizielle Besitzer der Tiere. Aus Sicht des Vereins wäre eine schnelle und konstruktive Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien – Trägerverein, Kreis Siegen-Wittgenstein, Bezirksregierung Arnsberg – notwendig gewesen, um die Wisente auf einer neuen vertraglichen Grundlage in die Phase der Herrenlosigkeit zu überführen.
Der Wisent-Verein selbst arbeitete hart daran, die Anforderungen der Freisetzungsphase erfolgreich umzusetzen, unter anderem durch ein Herdenmanagement der Tiere, die Ausweitung der Projektträger und den Versuch der Erzielung eines regionalen Konsenses mit den Waldbauern. Der Wille, die Phase der Herrenlosigkeit einzuläuten, war allerdings laut Verein bei den anderen Vertragsparteien nicht zu erkennen. So konnte zuletzt zwischen den Vertragsparteien kein Einvernehmen über die Zukunft des in Westeuropas einzigartigen Artenschutzprojekts zur Wiederansiedlung der gefährdeten Tierarten erzielt werden. Das Ergebnis: Vertragskündigung und als Schlussfolgerung die nunmehr als herrenlos geltenden Wisente, die frei durchs Rothaargebirge streifen.