Verhandlungen über die europäische Agrarpolitik
Derzeit wird in Brüssel über die europäischen Agrarsubventionen für den nächsten Förderzeitraum von 2021 bis 2027 verhandelt. Die Agrarsubventionen stellen mit einem Drittel des Volumens von jährlich circa 55 Milliarden Euro den größten Posten im EU-Haushalt dar. Derzeit ringen deswegen mächtige Interessenverbände um die Vergabe der Gelder.
Die Landwirtschaft stellt in Deutschland einen Milliardenmarkt dar, an dem insbesondere die Industrie verdient: Die Chemie durch den Verkauf von Medikamenten und Pestiziden, der Agrarhandel durch den Verkauf von Dünger und Futtermischungen, die Agrofinanzwirtschaft durch die Vergabe von Krediten für Landmaschinen und größere Ställe, die Fleischindustrie durch das Schlachten und Zerlegen der Tiere und zu guter Letzt der Handel durch den Verkauf der Lebensmittel.
Struktur der GAP
Die EU-Agrarpolitik ist auf zwei Säulen aufgebaut: Die erste Säule beinhaltet Direktzahlungen an Landwirte, welche entweder an die Produktion gekoppelt oder von ihr entkoppelt sind. Die gekoppelten Direktzahlungen richten sich nach der erzeugten Menge, beispielsweise wird der Landwirt hier pro produzierter Tonne Weizen oder pro Liter Milch bezahlt. Bei den entkoppelten Zahlungen wird dem Landwirt pro Hektar Land ein pauschaler Betrag ausgezahlt. Insbesondere bei großen Anbauflächen wie im Ackerbau und in der Weidewirtschaft können die Direktzahlungen also durchaus die Einkünfte aus der eigentlichen landwirtschaftlichen Arbeit übersteigen.
Die zweite Säule der GAP gilt der Förderung strukturschwacher Regionen und ökologischer Maßnahmen. So können Landwirte zusätzlich zu den Direktzahlungen Geld erhalten, wenn sie zusätzliche „Agarumwelt- und Klimamaßnahmen“ (AKUM) umsetzen.
Im derzeitigen Förderzeitraum 2014 bis 2020 machen die Direktzahlungen 72 Prozent des gesamten Budgets aus. Die Steuergelder werden derzeit also überwiegend dazu genutzt, die Industrie zu unterstützen - Denn derzeit wird nicht die landwirtschaftliche Tätigkeit an sich belohnt, sondern der bloße Besitz von Land.
Welche Interessen vertreten entscheidende Politiker?
Die Verteilung der Gelder der GAP, und daraus resultierend die Frage wie Tiere gehalten werden und wie Lebensmittel produziert werden, wird durch den Agrarausschuss der Europäischen Union entschieden. Knapp die Hälfte der Mitglieder der Abgeordneten haben einen direkten Bezug zur Landwirtschaft, ein großer Teil außerdem hohe Posten in der Agrarindustrie, im Bauernverband oder in der agrarnahen Finanzwirtschaft – besonders hoch ist der Anteil dabei in der CDU/CSU Fraktion. Einfluss nehmen also vor allem Personen, welche Multifunktionsträger oder Vielfachfunktionäre sind. So beispielsweise Johannes Röring: Dieser ist derzeitig Obmann der CDU im Agrarausschuss, hat daneben außerdem noch rund 15 Posten in Unternehmen, Verbänden und der Kreditwirtschaft inne. Beispielsweise ist er Beiratsmitglied der AGRAVIS Raiffeisen AG, einem der größten Händler von Futtermitteln, Saatgut und Pestiziden in Deutschland, mit einem jährlichen Umsatz von 6 Milliarden Euro.
Des Weiteren sitzt er im Kuratorium der QS Qualität und Sicherheit GmbH welche zuständig ist für Kontrollen im Lebensmittelbereich, er ist Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband, Aufsichtsratsmitglied der DZ HYP AG Immobilienbank der Volks- und Raiffeisenbanken sowie Aufsichtsratsmitglied der LVM Pensionsfonds-AG. Die meisten der Nebenjobs hat Röring erst inne, seitdem er in den Agrarausschuss berufen wurde. Er gilt als einer der Großverdiener im Bundestag.
Auch beim Vorgänger Rörings, Franz-Josef Holzenkamp, der 2017 aus dem Bundestag ausschied, davor aber noch die derzeitige Düngeverordnung mit auf den Weg brachte, konnten Verbindungen offengelegt werden. Noch während er im Ausschuss tätig war, war er Aufsichtsratsvorsitzender der AGRAVIS Raiffeisen AG. 2016 warnte der Vorstand der AGRAVIS im Geschäftsbericht davor, dass eine Verschärfung der Düngeverordnung zu deutlichen Umsatzeinbußen führen würde. Während Holzenkamp die Düngeverordnung verhandelte wurde sein Gehalt bei der AGRAVIS angehoben – von bis zu maximal 7.000 Euro monatlich auf bis zu maximal 15.000 Euro monatlich. Ein Zufall?
Studie zeigt Abhängigkeit der Agrarpolitik
Wissenschaftler des Bremer Instituts für Arbeit und Wirtschaft (IAW) stellten in einer Studie bereits die Unabhängigkeit der Agrarpolitik im Bundestag und im EU-Parlament in Frage. Bei der Untersuchung, bei der Verbindungen von über 90 Akteuren und 75 Institutionen der Landwirtschaft und Agroindustrie betrachtet wurden, stießen die Wissenschaftler auf mehr als 560 personelle und institutionelle Verbindungen zwischen der Finanzwirtschaft, Agrochemie, Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie Verbänden.
Eine Schlüsselrolle nimmt dabei laut den Autoren der Studie der Deutsche Bauernverband DBV ein. Hier kämen wichtige Akteure und Institutionen zusammen, um ihre agrar- und umweltpolitischen Positionen abzustimmen. Ein unionsnahes Netzwerk von Personen mit engen Kontakten zu Verbänden und Unternehmen aus der Landwirtschaft nähme so erfolgreich Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse. Reformen zum Wohle der Umwelt und Natur, des Tierwohls sowie des Gewässer- und Klimaschutzes scheitern laut Studie oftmals, da diese systematisch von Interessenvertretern verhindert werden.
Antizipativer Prozess zur EU-Agrarpolitik
Naturefund und seine Partner organisieren einen partizipativen Prozess zur EU-Agrarpolitik. Auftakt des Prozesses ist der 22. November um 10:00 in Elsfleth, gefolgt vom 30. November in Frankfurt am Main. Personen aus verschiedenen Lebensbereichen und mit unterschiedlichen Erfahrungen mit der Landwirtschaft sind willkommen, um sich gegenseitig auszutauschen. Kommen auch Sie gerne vorbei, und vertreten Sie ihren Standpunkt um gemeinsam die EU-Agrarpolitik zu beeinflussen.
Mehr zum partizipativen Prozess
Referenz: Gekaufte Agrarpolitik?